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Leben in Luxor Autorenforum: Der Architekt Hassan Fathy (1900-1989), ein Portrait in Worten und Bildern
von Claudia Ali, 03.03.13, Updates: 17.02.17, 23.03.17, 30.12.21
Nicht viele ägyptische Architekten sind über die Landesgrenzen Ägyptens hinaus bekannt - Hassan Fathy (arabisch: حسن فتحي) gehört zu ihnen. Sein besonderes Augenmerk galt der Schaffung von Wohnraum für die arme Bevölkerung in Entwicklungsländern, der einerseits bezahlbar ist, andererseits die vorherrschenden klimatischen Verhältnisse berücksichtigt, sich harmonisch in die Landschaft einfügt und den individuellen Bedürfnissen seiner Bewohner Rechnung trägt. Fathy entwickelte Lehmziegelhäuser, die traditionelle Bautechniken aufgriffen und mit geringsten finanziellen Mitteln gebaut werden können - sie machten ihn berühmt. Er lehrte die Menschen, ihre eigenen Baumaterialien herzustellen und damit ihre eigenen Häuser zu bauen. Ein gesundes Raumklima mit natürlicher Ventilation und passiver Kühlung spielten angesichts des ägyptischen Klimas bei seinen Überlegungen eine entscheidende Rolle. Noch heute inspiriert er Architekten auf der ganzen Welt und gilt als Vorreiter einer sozialverträglichen, kostensparenden, ressourcenschonenden und natürlichen Bauweise.
Foto: Hassan Fathy, © A. W. el-Wakil
Inhalt
- Lebenslauf
- Architektur-Elemente
- Bauprojekte
- Schlussbemerkungen
- Literatur
- Ausstellungen
- Websites
- Sonstiges
Lebenslauf
Hassan Fathy wurde am 23. März 1900 in Alexandria als Sohn eines oberägyptischen Vaters und einer türkischen Mutter geboren. Er hatte fünf Geschwister.
Nach seinem Studienabschluss an der Architekturabteilung der High School of Engineering in Gizeh 1926 arbeitete er vier Jahre im Amt für Städtische Entwicklung in Kairo. Ab 1930 lehrte er an der Kunstakademie in Kairo. 1937 entwarf er seine ersten Lehmziegelhäuser, 1941 die ersten mit einem Kuppelgewölbe.
Foto: Hassan Fathy, © Aga Khan Trust for Culture
Fathys Lehrtätigkeit in Kairo endete 1946, als er von der ägyptischen Altertümerverwaltung beauftragt wurde, das Dorf Neu-Qurna zu schaffen, in das die Einwohner von Alt-Qurna, die dort auf und in Gräbern aus der Pharaonenzeit wohnten, umgesiedelt werden sollten. Das Projekt dauerte bis 1949. Danach wurde Fathy immer wieder als Berater für internationale Wohnprojekte und Entwicklungsfragen hinzugezogen. Von 1949 bis 1952 war er als Leiter der Schulbauabteilung des ägyptischen Unterrichtsministeriums tätig.
1953 kehrte Hassan Fathy an die Kunstakademie in Kairo zurück. In der Überzeugung, dass Gebäude lauter zu sprechen vermögen als Worte, beendete er 1957 seine Lehrtätigkeit und widmete sich wieder konkreten Projekten, zunächst in Athen. 1959 erhielt er seine erste Auszeichnung: den Encouragement Prize for Fine Arts and Goldmedal. Nach seiner Rückkehr nach Kairo 1963 war er bis 1965 Direktor der Pilotprojekte für Wohnbau beim Forschungsministerium. In diese Zeit fällt auch sein Entwurf und die Bauleitung für das Dorf Neu-Baris in der Oase Charga im Auftrag der Egyptian Desert Development Organisation.
1973 veröffentlichte Fathy [Anzeige] "Architecture for the Poor" - ein Buch, das ihm internationale Anerkennung einbrachte. 1975 erhielt er den National Prize for Fine Arts and Republic Decoration. 1977 entwarf er ein Touristikdorf für das Nile Festival Project in Luxor, auch Nile Festival Island Resort genannt. Im April 1978 gründete er das International Institute for Appropriate Technology in Kairo, dessen Vorsitz er bis zu seinem Tod am 30. November 1989 in Kairo innehatte.
1980 bekam Hassan Fathy gleich drei Auszeichnungen:
- als allererster den gerade geschaffenen alternativen Nobelpreis (offizieller Name: Right Livelihood Award), der "Menschen und Initiativen, die Lösungen für die dringendsten Probleme unserer Zeit finden und erfolgreich umsetzen" verliehen wird;
- den hochdotierten Balzan-Preis der Internationalen Balzan-Stiftung für Architektur und Stadtplanung, den seit 1961 weltweit herausragende Wissenschaftler erhalten sowie
- ebenfalls als erster Im Rahmen des Aga Khan Trust for Culture den Preis des Vorsitzenden für sein Lebenswerk ("... for saving and adapting traditional knowledge and practices in building and construction for and with the poor") - ein von Karim Aga Khan IV. gestifteter Architekturpreis für Architektur- und Restaurierungsprojekte mit besonderer Wirkung für das Gemeinwohl.
Es scheint, als wären viele Architekturpreise nur ins Leben gerufen worden, um Hassan Fathy und sein Werk auszuzeichnen: 1984 folgte die wieder erstmals verliehene Goldmedaille der Union Internationale des Architectes, des weltgrößten Architektenverbandes. Sie geht seitdem alle drei Jahre an einen lebenden Architekten, um sein Lebenswerk zu ehren. 1994 - fünf Jahre nach Fathys Tod - erschien in Ägypten eine 15-Piaster-Briefmarke zu seinem Gedenken.
Hassan Fathy war verheiratet mit Aziza Hassanein. Er selbst hatte keine Kinder, doch seine Nichten und Neffen bzw. deren Kinder sind bemüht, sein Andenken und seine Projekte am Leben zu erhalten.
Hassan Fathy - Portrait, © Bruno Barbey
2017 feierte Google den 117. Geburtstag des Architekten mit einem netten Doodle:
Google Doodle zu Ehren von Hassan Fathy
Architektur-Elemente
Hassan Fathy war zunächst durch die westliche Bildung an britischen Schulen geprägt, was auch einen Widerhall in seinen frühen Architekturentwürfen fand. Doch schon bald erkannte er die bewunderten europäischen Bautraditionen als Teil eines Kolonialerbes, das Ägyptens ureigene Identität bedrohte. Er begann seinen eigenen Baustil mit Elementen traditioneller islamischer und nubischer Architektur zu entwickeln. Er spürte, dass Mensch, Natur und Architektur in einer harmonischen Balance koexistieren sollten. Architektur war für den Visionär eine Kunst, die sowohl persönlichen Gewohnheiten als auch der Tradition eines Landstriches Rechnung tragen sollte. In der islamischen Welt ist beispielsweise die Privatheit der Familie von großer Wichtigkeit - sie musste durch den Grundriss gewährleistet sein. Technologie hingegen sollte nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Hassan Fathy: Gouache privater Farmhäuser am Qarun-See, 1940 - 1945, © Aga Khan Trust for Culture
Hassan Fathy stellte bei seinen Studien islamischer Architektur fest, dass im Nahen Osten seit Jahrtausenden verschiedene Baumaßnahmen sehr effektiv und auf natürliche Weise für die nötige Klimatisierung sorgen:
- ein Innenhof (Sahn): Innenhöfe, die von allen Seiten von Arkaden (riwaqs) umgeben sind, werden sehr effizient zur passiven Kühlung eines Hauses eingesetzt - insbesondere während der kühlen Nachtstunden.
- eine Wasserquelle (Salsabil): Salsabil ist eigentlich im Koran der Name für eine Wasserquelle im Paradies. In der Architektur steht er für eine schräge Marmorplatte, über die ständig Wasser geführt wird. Durch die Verdunstungskälte eines Salsabil, eines (Spring-)Brunnens oder einer Wasserrinne kann ein ganzes Haus energiesparend klimatisiert werden.
- eine Empfangshalle (Qa'a): Einen kühlenden Effekt hat auch die traditionelle zentrale Halle, in der Gäste empfangen werden. Sie besteht aus einem hohen Raum (durqa'a), durch den Licht einfallen und Luft zirkulieren kann, und zwei höher gelegenen geschlossenen Nischen (iwan).
- Gitterfenster aus Holz (Mashrabiya): Die dekorativen Erker-Fenster mit Holzgittern sind unverglast. Die Größe der Holzstäbe und ihre Zwischenräume werden so berechnet, dass sie das direkt einfallende Sonnenlicht brechen. Auch die Luftzirkulation kann so kontrolliert werden. Gleichzeitig schützen die Gitter die Privatsphäre und bezaubern mit ihren Licht-/Schattenspielen.
- Windfänger (Malqaf): Sie werden gegen den jeweils vorherrschenden Wind gesetzt, der über ihre Öffnungen kanalisiert und ins Gebäude-Innere geleitet wird. Fenster sind dadurch unnötig. Da die Windfänger weit über dem Bodenniveau liegen, verringern sie auch den Sand- und Staubgehalt in der Atemluft.
Windfänger in Neu-Baris, Oase Charga, © Leben in Luxor
Windfänger in Neu-Baris, Oase Charga, © Leben in Luxor
Nach einem Besuch nubischer Dörfer war Hassan Fathy sehr beeindruckt von deren Lehmziegel-Bauweise und geradezu fasziniert von den Kuppel-Konstruktionen des fatimidischen Friedhofs in Assuan. Der nubische Baumeister Alaa el-Din Moustafa (Alaadin Mustapha), der ihm die Konstruktionsweise traditioneller nubischer Häuser näherbrachte, arbeitete vier Jahrzehnte für ihn. Fathy entwarf 1981 ein Haus für ihn in Edfu, dessen Bau allerdings nicht bestätigt ist.
Foto: Alaa el Din Moustafa, © Aga Khan Trust for Culture
Holzgestell für den Bau von Bögen und Gewölben in Neu-Baris, © Leben in Luxor
Fathy erkannte Erde als das beste und bewährteste Baumaterial: sie ist kostenlos, im Überfluss vorhanden und lässt sich leicht zu Ziegeln verarbeiten. Die geringe natürliche Wärmeleitfähigkeit dicker Lehmziegelmauern sorgt zudem für ein optimales Raumklima: sie kühlen im Sommer und speichern die Wärme im Winter. Von da an waren Lehmziegel, Arkaden, Kuppeln und Gewölbe feste Bestandteile fast all seiner Entwürfe.
Herstellung von Lehmziegeln für Neu-Qurna, © Christopher Little, Aga Khan Trust for Culture
Fathy studierte aber auch die Architekturkunst der Pharaonen. Er sagte: "Es gibt eine heilige Geometrie der Pharaonen. Räume haben eine heilsame Wirkung. Das sind Geheimnisse, die wir zurückgewinnen müssen". Seine Gouache-Bilder der 'Abd-el-Razik-Villa und von Neu-Qurna zeigen nach dem Vorbild der Wandmalereien in thebanischen Gräbern gleichzeitig unterschiedliche Perspektiven, um den Betrachter beim Verständnis zu unterstützen:
Hassan Fathy: Gouache der Villa von Hasan 'Abd al-Razik, Beni Mazar, Minya, 1943, © Aga Khan Trust for Culture
Hassan Fathy: Gouache von Neu-Qurna, 1946, © Aga Khan Trust for Culture
Man beachte in der Mitte des obigen Bildes die Sykomore, die im Alten Ägypten eine große symbolische Bedeutung hatte, und die Himmelskuh Hathor, die wie im Ägyptischen Totenbuch aus dem westlichen Berg kommt. Zum Vergleich hier die Darstellung eines Teichs aus der Grabkapelle des Nebamun und eine Hathor-Abbildung aus dem Totenbuch-Papyrus des Ani (beide aus der 19. Dynastie):
Gartenszene aus der Grabkapelle des Nebamun, 18. Dynastie, Theben, heute im British Museum, © MDID Collection, & Papyrus des Ani: Schlussszene aus dem Ägyptischen Totenbuch, © Soutekh67
Bauprojekte
Hassan Fathy entwarf 160 Projekte in der ganzen Welt: in Saudi-Arabien, Kuwait, Jerusalem, Niger und Tunesien, im Libanon, Oman, Sudan und Irak, in Indien, in Griechenland und Spanien. In Gaza (Palästina) konzipierte Fathy den Prototypen einer Unterkunft für Flüchtlinge; in Abiquiu (New Mexico/USA) baute er für das Dar al-Islam, eine Non-Profit-Organisation mit dem Ziel, in den USA ein besseres Verständnis für den Islam zu entwickeln, eine Moschee, ein Schulzentrum und ein Dorf für 150 Familien. Die überlieferte, von den Pueblo-Indianern praktizierte Lehmbauweise kam Fathys eigenen Vorstellungen sehr entgegen. Um die Handwerker vor Ort im Bau von Bögen und Kuppelgewölben zu schulen, brachte er oberägyptische Maurer mit.
Hassan Fathys Moschee in Abiquiu (New Mexico)
Hassan Fathy: Moschee in Abiquiu (New Mexico), Mai 2005, © Omar Omar
Hassan Fathy: Moschee in Abiquiu (New Mexico), © unbekannt
Am meisten jedoch arbeitete Fathy in seinem Heimatland Ägypten. Viele größere Projekte blieben allerdings im Entwurfsstadium, für manche entstanden Prototypen, einige wurden tatsächlich begonnen, wenige wirklich vollendet. Für Kairo, Gizeh, Dahshur, Siwa, Fayoum, Minya, Qena, Luxor, Charga, Edfu, Assuan und viele Gemeinden mehr schuf Fathy private Villen und Wohnhäuser, Raststätten und Restaurants, Hotels und Touristen-Center; er entwarf die Gebäude für ein Labor für homöopathische Medizin, eine Zeitungsdruckerei, einen Kindergarten, ein Einkaufszentrum und ein Mausoleum für den früheren Präsidenten Gamal Abd el-Nasser in Kairo sowie ein Kulturzentrum in Garagos bei Qena; er baute eine Farm im Fayoum, ein Kinderkrankenhaus in Siwa, eine jesuitische Keramikfabrik in Garagos bei Qena sowie Siedlungen in Qurna/Luxor und Baris. Im Folgenden stelle ich Ihnen einige seiner Projekte in Luxor und der näheren Umgebung detailliert vor.
Neu-Qurna, Luxor Westbank (1946 - 1949)
Um Verwechslungen vorzubeugen: Die neue Wohnsiedlung für die früheren Bewohner von Alt-Qurna trägt heute den Namen Hassan Fathy Village, während Neu-Qurna nun der Name für die später gebaute Siedlung im Nordwesten von Qurna ist. Wir bleiben hier überwiegend bei dem Namen Neu-Qurna für das Hassan Fathy Village und bezeichnen den jetzigen Wohnort der früheren Bewohner von Alt-Qurna als Neu-Neu-Qurna.
Alt-Qurna ist bekannt als das Dorf der Grabräuber, erbaut vor mehr als 200 Jahren auf Gräbern aus der Zeit der Pharaonen. 1945 war dem Ministerium für Altertümer bekannt geworden, dass Reliefs aus öffentlich zugänglichen Gräbern in Qurna herausgehackt worden waren. Man entschied eilends, die Einwohner - damals waren es 7.000 - zu enteignen und diskutierte dafür zwei Optionen: ihnen einen finanziellen Ausgleich für ihre Häuser zu zahlen oder adäquaten neuen Wohnraum in der Nähe ihrer Felder, aber weg von den Gräbern zu schaffen.
Qurnet-Murrai, Luxor Westbank, 14.05.2011, © Leben in Luxor
Die Umsiedlung erhielt den Zuschlag - vor allem weil man befürchtete, die Qurnawis würden das Geld nehmen und dennoch ihre Häuser nicht verlassen. Also beauftragte das Department of Antiquities Hassan Fathy damit, ein neues Dorf für sie zu schaffen - für ihn die perfekte Möglichkeit, seine bis dahin entwickelten Ideen und Konzepte in die Praxis umzusetzen. Die Regierung erwarb für die Umsetzung des Projekts ein Gebiet von 50 Feddan (210.000 m²) in der Nähe der Schmalspurbahn, die damals zum Hafen nach Esna führte und heute noch für Zuckerrohrtransporte verwendet wird. Fathy sollte ein Modelldorf schaffen, das die traditionelle ländliche Architektur miteinbezog und bewusst auf die sterile, stereotype, im Westen übliche Wiederholung von Wohneinheiten verzichtete.
Architecture emerges from the dream and this is why, in villages built by their inhabitants, no two houses are alike. Hassan Fathy |
Das individuelle Design sollte zwar auch durch verschiedene Architektur- und Dekorationselemente erreicht werden, aber vor allem durch die direkte Beteiligung der künftigen Einwohner, die ja am besten ihre Bedürfnisse kannten. Es war Fathy klar, dass die Umsiedlung der Qurnawis mit einer Entwurzelung einhergehen würde; dass das traditionelle Netzwerk von Beziehungen zwischen Familien, Freunden und auch Feinden mit allen althergebrachten Gebräuchen und Tabus in eine neue Balance gebracht werden musste. Er fand in Alt-Qurna 5 Sippen vor, die in 4 eigenständigen Bezirken lebten und wiederum aus 10 - 20 Familiengruppen (bandanas) bestanden. Um die Entstehung einer funktionierenden Gemeinschaft am zukünftigen Wohnort zu ermöglichen, behielt Fathy diese Einteilung in seinem Plan für Neu-Qurna bei.
Hassan Fathy: Entwurf von Neu-Qurna, © Aga Khan Trust for Culture
Das Dorf sollte insgesamt aus 50 Häuserblocks für bis zu 20.000 Menschen bestehen. Die individuell designten Häuser eines jeden Blocks waren jeweils um eine Fußgängerzone gruppiert. Jedes Haus verfügte über Wohnzimmer und Empfangsraum im Erdgeschoss, Schlafzimmer im 1. Stock und zusätzlichem Platz für Tiere und Lagerräume. Ein Großteil des Lebens sollte sich aber rundherum in den kleinen Straßen abspielen, die eine Erweiterung des privaten Hauses bildeten, während breite Straßen das Dorf in Bezirke für die einzelnen Sippen gliederte.
Entwurf für verschiedene Bauernhäuser in Neu-Qurna, © Hassan Fathy
Entwurf für verschiedene Bauernhäuser in Neu-Qurna, © Hassan Fathy
Ein großer zentraler Bereich mit öffentlichen Einrichtungen sollte der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls dienen. Dort plante Fathy Markthallen, einen Marktplatz, eine Moschee, ein Theater, ein öffentliches Bad, Schulen und Ausstellungshallen - ja sogar eine Kleinbahn, um die verschiedenen Bereiche zu verbinden. Das Theater sollte nicht nur für Theateraufführungen, sondern auch für für Hochzeitsfeiern, Kinovorführungen und zur Wiederbelebung der traditionellen Folklore genutzt werden. Ein Handwerkerviertel mit Töpfereien und Webereien sollte neue Einkommensmöglichkeiten schaffen (und die bisher illegalen Einkünfte durch den Verkauf von Antiquitäten ersetzen). Die Bebauung der umliegenden Felder würde eine Selbstversorgung ermöglichen.
In short, I wanted in the public buildings of Gourna to provide for all the communal needs of the villagers - for their work and trade, for their education, for their amusement, and for their worship. Hassan Fathy |
Hassan Fathy: Gouache eines privaten Farmhauses am Qarun-See, 1940 - 1945, © Aga Khan Trust for Culture
Für das Projekt wurden ortsansässige Handwerker beschäftigt, die mit ihren Händen Baumaterial vor Ort verarbeiteten: Aus Lehm vermischt mit Sand, Erde und Stroh stellten sie sonnengetrocknete Ziegel für die Wände her. Wo mit Feuchtigkeit aus dem Boden gerechnet werden musste, wurden stattdessen gebrannte Ziegel und Kalkstein verwendet. Eine ähnliche Lehmmischung diente als Mörtel und Verputz. Blieben die Dächer. Laut Statistik bestanden 54,4% der bestehenden Dächer aus mit Schilf und Erde bedeckten Palmstämmen, während 27,5% der Räume gar kein Dach besaßen. Beides war für ein hygienisches Wohnen inakzeptabel. Hassan Fathy beschloss, die Häuser mit Kuppeln und Gewölbe aus Lehmziegeln zu überdachen. Diese Methode war nicht nur ästhetisch, sondern auch noch kostengünstig: Für ein Gewölbe über einem 3 x 3 Meter großen Raum errechnete er einen Preis von unter 30 LE!
Die Vorteile seiner Bauweise waren offenkundig:
- Altes handwerkliches Wissen, das, wenn es nicht mehr angewendet wurde, verloren zu gehen drohte, blieb so erhalten.
- Jeder könnte künftig mit eigenen Händen und einfachsten, billigsten Materialien selbst sein umwelt- und klimafreundliches Haus bauen.
- Die glatten Lehmwände boten kein Zuhause für Ungeziefer. Bei Bedarf konnten sie auch weiß getüncht werden.
- Die Kuppeldächer waren hitzebeständig und würden bei Feuer nicht zusammenbrechen. Außerdem sorgten sie für natürliche Ventilation.
Hassan Fathy: Zeichnung der Moschee in Neu-Qurna, 1945, © Aga Khan Trust for Culture
Neu-Qurna war ein ambitioniertes Projekt mit kreativen und innovativen Ideen, doch auf Grund der ablehnenden Haltung der Qurnawis, die es sabotierten, wo auch immer es ihnen möglich war, und sich weigerten umzuziehen, scheiterte es. Es wurde gestoppt, nachdem erst 20% des Dorfes fertiggestellt waren.
Neu-Qurna in den 1950er Jahren © Christopher Little, Aga Khan Trust for Culture
Die 75 fertiggestellten Häuser blieben auf Jahre hinaus unbewohnt, bis sie doch vermietet oder von illegalen Siedlern - vor allem aus Assuan - besetzt wurden. Jahre später waren 24 Häuser völlig zerstört und andere mit Zement und Flachdächern umgebaut worden. Nur einige der öffentlichen Gebäude haben bis heute einigermaßen intakt überlebt. Das Hassan Fathy Village befindet sich heute in einem beklagenswerten Zustand.
Markthallen und Fathys "Field House" im Hassan Fathy Village
Die Markthallen sind inzwischen einsturzgefährdet. Nichtsdestotrotz dienen sie heute als Büros, Lager für Düngemittel und Garagen.
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Blick vom Dach der Moschee auf die Markthallen 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Markthallen 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Markthallen 2010 & Hassan Fathys Field House 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Hassan Fathys Field House 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Detailaufnahmen 2010, © Leben in Luxor
Die Moschee im Hassan Fathy Village
Auch wenn einige unsachgemäße Veränderungen vorgenommen wurden - sie ist heute von allen Gebäuden am weitaus besten erhalten, ohne dass es bisher eine Restaurierung gegeben hätte.
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Moschee 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Kuppel der Moschee, © Christopher Little, Aga Khan Trust for Culture
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Moschee 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Moschee 2010, © Leben in Luxor
Die Schulen im Hassan Fathy Village
Damit die Kinder zu Fuß zur Schule gehen konnten, bestand Hassan Fathy auf dem Bau von Schulen im Dorf - einer Grundschule für Jungen, einer für Mädchen und einer weiterführenden Handwerksschule.
In the school it is the children’s souls that will grow, and the building must invite them to fly. Hassan Fathy |
Während es nie zum Bau der Mädchenschule kam, entstand die Jungenschule nordwestlich etwas außerhalb des Zentrums. Sie wurde 1998 abgerissen und durch den Bau einer Landwirtschaftsschule ersetzt. Der Handwerksschule war ein ähnliches Schicksal beschieden.
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Frühere Jungenschule, © Christopher Little, Aga Khan Trust for Culture
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Frühere Jungenschule, © Chant Avedissian, Aga Khan Trust for Culture
Das Theater im Hassan Fathy Village
Im April 1978 hatte Hassan Fathy das International Institute for Appropriate Technology in Kairo gegründet, an dem neben Architekten, Ingenieuren, Soziologen, Umweltwissenschaftlern und Verwaltungskräften auch Maurer und Künstler ausgebildet wurden. Seine Studenten nannten ihn Hassan Bey. Mit einigen von ihnen kehrte er 1982 für fünf Monate nach Neu-Qurna zurück, um das Open-Air-Theater zu restaurieren. Der Bau, der sich an der griechischen Architektur eines Amphitheaters orientierte, verfiel seit 1948 auf Grund fehlender Wartung. Das Dach war einsturzgefährdet, das Theater selbst von Pflanzen überwuchert, viele Mauern verfallen.
1948 hatte Fathy ein Trainingscenter in Neu-Qurna eingerichtet, eines wie an vielen seiner Baustellen im ganzen Land. Dort bildete er junge Lehrlinge mit einem Durchschnittsalter von 14 Jahren zu Künstlern, Maurern, Schreinern, Glasern und anderen Handwerkern aus, und dort fand nun auch ab November 1982 die begleitende berufliche Ausbildung für seine Studenten statt. Das Foto zeigt den Zustand vor der Restaurierung des Theaters nebst Grundriss und stammt aus dem Artikel eines seiner Studenten Ali Moustaader "Gourna: The Dream Continued".
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Theater 1982 vor der Restaurierung, © Concept Media / Aga Khan Trust for Culture
Vom 9. bis 20. November 1982 wurden zunächst die schwer beschädigten Nordostwände und die vier Kuppeln am Osteingang des Theaters eingerissen sowie die südwestlichen Bereiche gesäubert. Zwei Tage später konnte bereits der Aufbau mit dem Legen neuer Fundamente beginnen. Das Ergebnis kann sich sehen lassen:
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Theater nach der Restaurierung, Januar 2010, © Leben in Luxor
Hassan Fathy Village, Luxor Westbank: Theater nach der Restaurierung, Januar 2010, © Leben in Luxor
Neue Nutzungspläne für das Hassan Fathy Village
In den 1970er Jahren kam Hassan Fathy nach Neu-Qurna zurück, um dort ein Touristendorf zu errichten. Die Idee war, das ungenutzte Potential der Lage zwischen Fähre und Hauptstraße nicht brachliegen zu lassen und die vielen Touristenbusse, die täglich vorbeifuhren, zum Bleiben und Kaufen zu bewegen. Fathys neuer Entwurf wich in vielen Punkten vom ursprünglichen Plan ab. Lange Ladenzeilen, Restaurants und breite Straßen sollten das bisherige Wohngebiet in ein Geschäftsviertel verwandeln. Doch wie unschwer vor Ort zu sehen ist, wurde auch aus diesen Plänen nichts. Fathy fasste sein Konzept und seine Erfahrungen sowie die Geschichte des Baus von Neu-Qurna 1973 in seinem Buch "Architecture for the Poor" [Anzeige] zusammen.
Im Februar 2000 wurde unter dem Titel "The Comprehensive Development of the City of Luxor Project, Egypt" dem Ministry of Housing, Utilities and Urban Communities ein 120-seitiger Plan vorgelegt, der unter vielen anderen Maßnahmen vorsah, ein West Bank Visitor Center im Hassan Fathy Village anzusiedeln - entgegen den Vorstellungen des SCA, der einen anderen Standort favorisierte. Wie bei den Wiederbelebungsplänen der 1970er Jahre wollte man das Potential der Lage nutzen und schlug vor, dort eine zentrale Informations- und Ticket-Verkaufsstelle sowie riesige Parkflächen für die Tourbusse anzusiedeln, deren Passagiere von hier aus mit einem Westbank Shuttle Service weiter zur Nekropole transportiert werden sollten.
Seit 2010 ringt der World Monuments Fund (WMF) der UNESCO um die Bewahrung von Hassan Fathys Erbe. Er erstellte einen Masterplan mit dem Ziel, die Häuser vor einem weiteren Verfall zu retten, Fathys Ideen und Prinzipien zu verbreiten sowie die Lehmbauweise an sich zu fördern. Die Ergebnisse der Studie sind in einem 66seitigen Bericht mit umfangreichem Kartenmaterial niedergelegt: Safeguarding Project of Hassan Fathy’s New Gourna Village ( 3,93 MB)
Hassan Fathy Village: Ist- und Sollzustand laut UNESCO-Bericht
Der WMF gab außerdem einen Film in Auftrag, der die Sichtweise der jetzigen Bewohner wiedergibt: Hassan Fathy's New Gourna: Past - Present - Future (Film von Oliver Wilkins).
Konkrete Rettungsaktionen scheiterten seither an der Bürokratie und den wechselnden Zuständigkeiten für Genehmigungen. Im Sommer 2011 wurde das "Safeguarding Project", das eigentlich bis zum 1. Juni 2013 terminiert war, ausgesetzt.
Trotz des zunehmenden Verfalls wollen die meisten derzeitigen Bewohner (63%) in Fathys Gebäuden im Dorf wohnen bleiben und kämpfen mit um den Erhalt und die Restaurierung ihrer Häuser.
2018 startete endlich die erste Restaurierungsphase des Hassan Fathy Village, die unter Beteiligung des ägyptischen Kultusministeriums, der National Organization for Urban Harmony (NOUH) und der UNESCO am 23. Dezember 2021 ihren Abschluss fand. Gefeiert wurde dieser Anlass mit dem National Festival of Tahtib, das früher auf der Eastbank stattfand. Der Marktplatz, die Markthallen und das Theater sollen künftig für kulturelle und künstlerische Events genutzt werden.
Alt-Qurna Jahrzehnte später
Alt-Qurna wurde zwischen 2006 und 2009 trotz heftiger Proteste der Einwohner weitestgehend abgerissen. Ob der Abbruch der malerisch bunten Wohnhäuser, die bis dahin das Bild der Westbank geprägt hatten, in dieser Radikalität sinnvoll war, darüber lässt sich lange streiten. Fakt ist, dass den Gräbern darunter nicht nur eine weitere Plünderung drohte, sondern auch irreparabler Schaden durch Tierhaltung, offene Feuer und Abwässer - Alt-Qurna war nie an das öffentliche Wassernetz angeschlossen. Trinkwasser musste immer noch täglich in von Eseln gezogenen Tankwagen herangekarrt werden. Um zu retten, was noch zu retten ist, bemüht sich das Qurna History Project darum, Geschichte und Geschichten der Qurnawis zu erhalten, indem es sie dokumentiert und alte Fotografien sammelt.
Qurnet Murrai, ein Ortsteil von Alt-Qurna, am 04.11.2009, © Leben in Luxor
Qurnet Murrai am 20.03.2010, © Leben in Luxor
Hätten sich die früheren Bewohner jedoch besser nicht geweigert, in Fathys Neu-Qurna umzuziehen, denn nun leben sie in Neu-Neu-Qurna, einer uniformen Siedlung, die am nördlichen Ende der thebanischen Nekropole für sie errichtet wurde:
Neu-Neu-Qurna 2008, © Leben in Luxor
Neu-Neu-Qurna 2013, © Leben in Luxor
In Alt-Qurna selbst wurden seit der Abrissaktionen etliche neue Gräber entdeckt, und diverse archäologische Missionen aus aller Welt arbeiten an der Reinigung und Restaurierung der in Mitleidenschaft gezogenen Gräber.
Stoppelaëre House, Luxor Westbank (1950)
Stoppelaëre House 2010, Luxor Westbank, © Leben in Luxor
Ein Jahr nachdem das Projekt "Neu-Qurna" beendet war, baute Hassan Fathy auf dem Hügel nordwestlich des Howard-Carter-Hauses (es wird vielfach irrtümlich für dieses gehalten) das Stoppelaëre House (nicht: Stopplaere!). Er hatte die Aufgabe, darin zwei Funktionen zu vereinen: ein Gästehaus für das Department of Antiquities und ein privates Wohnhaus für dessen obersten Restaurator Dr. Alexandre Stoppelaëre (1890-1978). Um beiden gerecht zu werden, plante Hassan Fathy den Grundriss ursprünglich als perfektes Quadrat bestehend aus zwei Sektoren mit parallelen Innenhöfen, verband aber schließlich die beiden Bereiche auf geniale Weise in einem rechteckigen Grundriss.
Stoppelaëre House - Grundriss, © Factum Arte
Stoppelaëre House - Innenraumdetails, © Aga Khan Trust for Culture
Das schwer beschädigte Gebäude wurde nach einer umfassenden Restaurierung durch das Tarek Waly Center for Architecture and Heritage am 17. Februar 2017 als Trainingszentrum für die Theban Necropolis Preservation Initiative wiedereröffnet (hier mein Bericht). Die Initiative hat zum Ziel, die besonders gefährdeten Gräber im Tal der Könige mit 3D-Scannern zu vermessen und zu dokumentieren, um anschließend Faksimile-Gräber zu bauen. Das Tarek Waly Center for Architecture and Heritage und die Factum Foundation haben bereits ein Faksimile von Tutanchamuns Grab geschaffen.
Ceramics Factory Garagos, Qena (1950)
1950 trat die jesuitische Mission, die bereits in Garagos ein kunsthandwerkliches Zentrum betrieb, an Hassan Fathy heran und beauftragte ihn mit dem Bau einer Keramikfabrik mit möglichst effizienter Produktionslinie. Hassan Fathy konzipierte das Gebäude entsprechend den Arbeitsabläufen - angefangen mit einem Bereich für die Lieferung des Tons über dessen Überprüfung, Wässerung, Vorbereitung und Lagerung bis hin zu den Werkstätten, an denen er verarbeitet und gebrannt werden sollte.
Die Produkte der Künstler sind auf jährlichen Messen in Kairo und Alexandria erhältlich, die Töpferei konnte aber bis zum Frühjahr 2021 auch besichtigt werden. Dort hängen noch immer Fotos von Hassan Fathy.
Plan der Keramikfabrik in Garagos, Qena, © Aga Khan Trust for Culture
Keramikfabrik in Garagos heute, © Leben in Luxor
Keramikfabrik in Garagos, Qena, © Chant Avedissian, Aga Khan Trust for Culture
Keramikfabrik in Garagos, Qena, © Chant Avedissian, Aga Khan Trust for Culture
Keramikfabrik in Garagos heute, © Leben in Luxor
Luxor Cultural Centre, Luxor Eastbank (1964)
Das Kulturministerium beauftragte Hassan Fathy 1964, in der Nähe der fatimidischen Moschee von Sidi el-Wahsh im Herzen Luxors ein Kulturzentrum zu bauen. Nur die Haupthalle des riesigen Komplexes wurde fertiggestellt, wobei Fathys Ideen für natürliche Luftzirkulation vollständig ignoriert wurden. Der große Windfänger wurde zwar gebaut, aber abgeriegelt, was ihn absolut sinnlos machte.
Luxor Cultural Centre: Zeichnung, © Hassan Fathy
Neu-Baris, Oase Charga (1967 - 1969)
Als Hassan Fathy Neu-Qurna entwarf und baute, hoffte er, dass dieses Beispiel Schule machen würde. Fast 20 Jahre später erhielt er die Gelegenheit, ein komplettes ägyptisches Dorf in der Oase Charga zu konzipieren.
Die Oase Charga liegt in der Westlichen Wüste etwa 180 km von Luxor entfernt und erstreckt sich in nordsüdlicher Richtung über eine Länge von 200 km. Als man 1963 60 km südlich der Hauptstadt in der Nähe der Stadt Baris ein riesiges unterirdisches Wasserreservoir entdeckte, mit der man über 400 Hektar Land dauerhaft bewässern konnte, beschloss die Organisation for Desert Development, auf einer Fläche von 2.500 Hektar ein Dorf für 250 Familien zu bauen. Mehr als die Hälfte der künftigen Bewohner sollten Bauern sein, die anderen Dienstleistungskräfte. Fathy, bekannt dafür, mit wenigen Mitteln Erstaunliches zu leisten, erhielt den Auftrag für Neu-Baris ("Baris" ist übrigens die arabische Aussprache von "Paris").
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Anders als in Qurna kannte Hassan Fathy die neuen Bewohner nicht, die aus dem überbevölkerten Dorf Reyad bei Assiut in Mittelägypten rekrutiert werden sollten. Alles, was er hatte, waren demographische, geographische und klimatische Studien. Um ein auf die Bewohner zugeschnittenes Dorf planen zu können, konzentrierte er sich also auf die traditionelle Architektur der Oase und das Klima der Wüste. Er untersuchte die Lehmziegelbauten des nahegelegenen Friedhofs Gabbānat el-Bagawāt aus dem 4. Jh. n. Chr. sowie Baumaterialien und geographische Orientierung der Häuser und Straßen in der Hauptstadt Charga. Der Souq von Neu-Baris wurde zum Angelpunkt seiner Überlegungen, denn die in den Markthallen gelagerten verderblichen Waren bedurften einer natürlichen Kühlung - wohlgemerkt in einer Gegend, in der im Sommer über 50°C herrschen konnten. Er verlegte die Lagerräume unter die Erde, verfeinerte die Windfänger und baute zusätzliche Luftschächte ein. Er erzielte mit diesen und weiteren Maßnahmen eine schnellere Luftzirkulation, wodurch er eine Temperatursenkung um 15°C erreichte.
Zudem legte Fathy das Wüstendorf so an, dass die in Nord-Süd-Richtung angelegten Hauptstraßen fast den ganzen Tag im Schatten lagen, und vermied große freie Flächen. Im Zentrum befanden sich die öffentlichen Einrichtungen: die Moschee, ein Krankenhaus, die Verwaltung, ein Kaffeehaus und die Markthallen.
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village - Plan, © Aga Khan Trust for Culture
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Die Räume eines Hauses öffneten sich zum Innenhof - der beste Schutz gegen Wüstenwinde und Hitze. Eine überdachte Loggia (takhtabush) verband den Innenhof über ein Mashrabiya-Fenster mit dem Garten.
Doch auch diesem Projekt war kein Glück beschieden: Im Juni 1969 führte der Beginn des Sechstagekrieges mit Israel zu einem abrupten Ende der Bauarbeiten. Sie wurden danach nicht wieder aufgenommen. Nur ein Haus am Eingang des Dorfes, das für den Bezirksleiter vorgesehen war und auch heute Verwaltungszwecken dient, wurde fertiggestellt:
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village - Haus des Bezirksleiters, © Aga Khan Trust for Culture
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
Neu-Baris, Oase Charga: Hassan Fathy Village 2011, © Leben in Luxor
IFAO Field House, Luxor Westbank (1970)
Die Unterkünfte für das in Kairo ansässige Institut Français de l'Archéologie Orientale (IFAO) waren vermutlich für Mitarbeiter der Ausgrabungen in Luxor gedacht. Die 6 Wohneinheiten hatten jeweils eine zentrale Empfangshalle mit zwei Schlafplätzen und angegliedertem Badezimmer. Ein Windfänger sollte für Kühlung sorgen. Es ist aber weder klar, ob jemals mit dem Bau begonnen wurde, noch gibt es Entwurfszeichnungen.
Nile Festival Village, Luxor (1977)
Für dieses auch Nile Festival Island Resort genannte Projekt sollte im Auftrag der Nile Village Company Ltd. auf der Nilinsel Tarh El-Bahr, die in jener Zeit noch im Nil 10 Meter entfernt von Luxors Westbank lag, ein Touristendorf entstehen (die Insel wurde offenbar später mit dem Festland der Westbank verbunden und stellt heute den Ortsteil Ramla dar). Geplant war, nur einen Teil der Insel zu bebauen und dabei alten Baumbestand zu erhalten.
Nile Festival Village Luxor, © Hassan Fathy
Aus einem Memorandum von Hassan Fathy geht hervor, dass die damals einzigen beiden First Class Hotels Winter Palace und ETAP zusammen über 456 Hotelzimmer mit 996 Betten verfügten. Das Nile Festival Village Project wollte dem weitere 425 Wohneinheiten hinzufügen - um den Blick auf die Westbank nicht zu zerstören, auf maximal zwei Ebenen. Das Touristendorf sollte Arkaden, Höfe und Brunnen haben. Die großzügigen freien Flächen und Straßen zwischen den Wohneinheiten sollten Schatten bieten, so dass es auch tagsüber angenehm sein würde, sich draußen aufzuhalten. Als Baumaterialien waren für die tragenden Wände Stein, für Kuppeln, Gewölbe und Arkaden Ziegel, für die Böden Stein-, Marmor- und Keramikfliesen, für die Türen und Fenster Holz vorgesehen. Neben Unterkünften mit hohem Standard waren folgende öffentliche Einrichtungen geplant: eine zentrale Bootsanlegestelle, zentrale Rezeption, Touristeninformation, Open-Air-Theater, Konzertsaal, Restaurant, Café, Bar, Bank, Kunsthandwerkermarkt, Kunstgalerie, Souvenir-Shops, Buchhandlung, Drogerie, Fotogeschäft, Swimmingpools, Planschbecken, türkisches Bad, Tennisplätze und Reitställe - es war an alles gedacht, was ein Tourist im Urlaub braucht. Sämtliche Veranstaltungen (Folklore, Theater, Kino, Kammermusikkonzerte) sollten auch Nicht-Gästen zur Verfügung stehen.
Nile Festival Village Luxor, © Hassan Fathy
Die Kosten für das gesamte Projekt beliefen sich auf 34.318.370 LE, das waren damals 41.868.400 US Dollar. Fathy schätzte die Einnahmen der ersten zwölf Jahre auf mindestens 118.042.320 LE = 144.000.000 USD. Doch auch dieses Projekt blieb in der Planungsphase stecken.
Schlussbemerkungen
Als Hassan Fathy, der selbst aus wohlhabendem Hause stammte, zum ersten Mal die unwürdigen Behausungen mittelloser Menschen sah, war er schockiert. Von da an verschrieb er sich einer Architektur für die Armen: bezahlbar - zweckmäßig - schön - menschenwürdig. Das Geld, das er später durch den Bau von Luxusvillen verdiente, steckte er in Projekte für die arme Landbevölkerung. Er wurde ihr "Barfußarchitekt", ihr Anwalt:
Architecture for the poor should not be looked upon as treating a particular kind of disease. I'm referring to a new architecture that is valid for both the rich and the poor. Unfortunately, the poor do not benefit from the merits of aesthetics. People associate poverty with ugliness, and this is incorrect. The less expensive the project, the more important are the concern and attention paid to aesthetic considerations." - "Architektur für die Armen sollte nicht wie die Behandlung einer besonderen Krankheit angesehen werden. Es geht um neue Architektur, die für Reich und Arm gilt. Unglücklicherweise genießen die Armen nicht die Vorzüge der Ästhetik. Mit Armut assoziiert man Hässlichkeit, was falsch ist. Je billiger ein Projekt, desto wichtiger die Sorge und Aufmerksamkeit für die ästhetischen Belange." Hassan Fathy |
Hassan Fathy: Gouache eines unbekannten Wohnobjekts, © Aga Khan Trust for Culture
Hassan Fathy war ein Genie und Pionier, doch in Ägypten umstritten. Westlich orientierte Büro- und Technokraten hielten ihn für anachronistisch und zu romantisch - sie verstanden nicht, worum es ihm ging. Dabei zeigte er doch, dass ein Architekt vieles verbinden kann: Tradition und Innovation, Zweckmäßigkeit und Ästhetik, Komfort und Natürlichkeit, Präzision und Sinnlichkeit, Wissenschaft und Imagination.
Heute sind Fathys Gedanken und Konzepte populärer denn je. Die Bequemlichkeiten eines "modernen" Hauses, gebaut mit Stahlbeton und Zement, verlieren im Klima Ägyptens schnell an Attraktivität. Nur mit einem hohen Aufwand an Energie (Ventilatoren, Klimaanlagen), die in diesem Maße nicht allen und nicht jederzeit zur Verfügung steht, ist die Sommerhitze darin einigermaßen zu ertragen. Die tagsüber aufgeheizten Wände kühlen auch in der Nacht nicht ab. Was können wir daraus lernen? Um mit Fathy zu sprechen:
"Was auch immer Technologie als Bequemlichkeit präsentiert, sollte
stets mit Klugheit betrachtet werden,
denn nicht jede Bequemlichkeit ist gleichbedeutend mit Fortschritt."
Hassan Fathy
Literatur und Quellen
Ausgewählte Schriften von Hassan Fathy
Hassan Fathy: The New Village of Qurna 1946-1954 - Memorandum On The New Village of Gourna Project, 18 February 1955
Hassan Fathy: Gourna - a tale of two villages, Ministry of Culture, Cairo 1969
Hassan Fathy: [Anzeige] Architecture for the Poor - An Experiment in Rural Egypt, University of Chicago Press 1976 - auch als Kindle Edlition
Hassan Fathy: The Nile Festival Village - Project Summary, September 1982
Hassan Fathy: [Anzeige] Natural Energy and Vernacular Architecture - Principles and Examples, with Reference to Hot Arid Climates, University of Chicago Press 1986
Ausgewählte Schriften über Hassan Fathy und seine Projekte
UNESCO: Safeguarding project of Hassan Fathy’s New Gourna Village - Preliminary Phase Document April 2011 ( 3,93 MB)
World Monuments Fund (WMF): New Gourna Village - Conservation and Community, März 2011 ( 14,9 MB)
Abdel-Moniem El-Shorbagy: Hassan Fathy - The Unacknowledged Conscience of Twentieth Century Architecture, in: International Journal of Basic & Applied Sciences IJBAS-IJENS, Vol. 10, Issue 02, 10 April 2010 ( 426 KB)
Ahmad Hamid: [Anzeige] Hassan Fathy and Continuity in Islamic Arts and Architecture - The Birth of a New Modern, American University in Cairo Press 2010
Ismail Serageldin: Hassan Fathy, Bibliotheca Alexandrina 2007 ( 3,95 MB)
Max Nobbs-Thiessen: Contested Representations and the Building of Modern Egypt - The Architecture of Hassan Fathy, MA Thesis, Simon Fraser University 2006 ( 5,04 MB)
Lore Kelly: Bauen im Orient - Erinnerung an Hassan Fathy (1900-1986), in: Architektur & Technik, Jg. 28, Nr.7, 2005, S. 10-14 ( 201 KB)
Abdel-Moniem M. El-Shorbagy: The Architecture of Hassan Fathy - Between Western and Non-Western Perspectives, a Thesis Submitted for the Degree of Doctor of Philosophy at the University of Canterbury 2001
Hana Taragan: Architecture in Fact and Fiction - The Case of the New Gourna Village in Upper Egypt, in: Muqarnas: An Annual on the Visual Culture of the Islamic World, XVI, 1999, 169-178
[James Steele: [Anzeige] An Architecture for People - The Complete Works of Hassan Fathy, Thames & Hudson 1997
James Steele: The Hassan Fathy Collection: a catalogue of visual documents at the Aga Khan Award for Architecture, Aga Khan Trust for Culture 1989
James Steele: Hassan Fathy, Academy Editions 1988 (Architectural Monographs No 13)
Thomas Weil: Hassan Fathy - ein Architekt der mit dem Herzen denkt, in: ARCH+ 88, 1987, S. 69-71 (kostenpflichtiges )
Ali Moustaader: Gourna - The Dream Continued, in: MIMAR 16, 1985, p. 54 - 59
J.M. Richards, Ismail Serageldin, Darl Rastorfer: Hassan Fathy, Concept Media 1985
Ausstellungen
1. Ausstellung von Hassan Fathys Gouachen und Zeichnungen in Mansoura, 1937
Hassan Fathy - Ausstellung an der Technischen Universität Wien, 30.05.1980 - 15.06.1980
Hassan Fathy - Architect : an exhibition of selected projects, School of Architecture and Planning, Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, Mass., Spring 1981
Hassan Fathy: Centennial Exhibition - Selections from the Hassan Fathy Archives, American University in Cairo März - Juli 2000
Hassan Fathy, un architecte Égyptien, Institut du Monde Arabe in Paris, 04.12.2002 - 02.02.2003
Traumbilder der Architektur - Gouachen und Zeichnungen von Hassan Fathy, Deutsches Architektur Museum, Frankfurt am Main, 16.02.2005 - 13.03.2005
Hassan Fathy - The Man and His Legacy, Bibliotheca Alexandrina - Arts Center Alexandria, 23.10.2007 - 20.11.2007
Hassan Fathy - an Egyptian Ambition: an Exhibition of Drawings, Photographs and Models of the Architect's Projects and Buildings, organised by the Institut Français d'Ègypte at Gezira Art Center Cairo, 19.12.2011 - 21.01.2012
Plakat der Ausstellung "Hassan Fathy - an Egyptian Ambition"
Internetseiten
ArchNet Digital Library: Hassan Fathy schenkte 1985 seine komplette Sammlung von Zeichnungen und Schriften dem Aga Khan Award for Architecture. Sie befinden sich heute zum einen Teil am Aga Khan Trust for Culture in Genf, zum anderen Teil an der American University of Cairo, Ägypten. Um sie für die Nachwelt zu dokumentieren, veranlasste der Trust die digitale Erfassung und stellt sie in der ArchNet Digital Library zur Verfügung. Das Archiv umfasst 1273 Dokumente Hassan Fathys, Fotos, Zeichnungen, eine Liste seiner Projekte, Projektberichte und vieles mehr.
Hassan Fathy Architectural Archives: Digital Archive and Research Repository der American University in Cairo mit zahlreichen Skizzen und Grundrissen
archINFORM: Seite über Hassan Fathy mit Bibliographie
Hassan Fathy, an Egyptian Ambition - Website des Institut Français du Caire zu einer Hassan-Fathy-Ausstelllung in Kairo vom 19.11.11 - 21.01.12 mit Präsentation seiner Gemälde und Zeichnungen [Anm. vom 04.01.16: Website nicht mehr online]
Hassan Fathy Channel auf Youtube: zahlreiche Videos
Save the Heritage of Hassan Fathy: Blog mit aktuellen Informationen zum Stand der Bemühungen, Hassan Fathys Neu-Qurna zu retten
World Monuments Fund: Project New Gourna Village
Sonstiges
Der eineinhalbstündige Film El-Gebel ("The Mountain") von Fathy Ghanem wurde 1965 in Alt-Qurna gedreht. Er erzählt die Geschichte der versuchten Umsiedlung seiner Bewohner und von der Entstehung des Dorfes Neu-Qurna. Fathy selbst hat den Film nie erwähnt noch wird er selbst im Film namentlich genannt. In voller Länge auf Youtube zu sehen (Arabisch - ohne Untertitel):
1975 wurde in Ougadougou (Burkina Faso) die ADAUA (Association pour le Développement d'une Architecture et d'un Urbanisme Africains) gegründet. Erfüllt vom Geist Hassan Fathys geht es der Architektengruppe darum, die traditionelle afrikanische Archtektur mit örtlichen Materialien wiederzubeleben und zu fördern sowie Arbeiter in verschiedenen westafrikanischen Ländern in den Konstruktionstechniken zu schulen. 1995 wurde das vom ADAUA-Architekten Fabrizio Carola gebaute Krankenhaus in Kaédi, Mauretanien für sein auf traditionelle Bauweisen zurückgreifendes Architekturkonzept mit dem Aga Khan Award for Architecture ausgezeichnet. Das Bild zeigt einige der Patientenzimmer und rechts einen Behandlungsraum:
Hôpital de Kaédi in Mauretanien, © Alexis Doucet
Seit 2009 vergibt die Bibliotheca Alexandrina zusammen mit dem Alexandria and Mediterranean Research Center (Alex Med) in Alexandria jährlich den Hassan Fathy Award for Architecture an junge ägyptische Architekten. Der Preis steht jedes Jahr unter einem neuen Motto. Der Gewinner erhält als Auszeichnung eine Goldmedaille, die während des Hassan Fathy Symposium verliehen wird.
Hassan Fathy Award for Architecture, © Bibliotheca Alexandrina
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