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Leben in Luxor Autorenforum: Der Böse Blick العين
von Hans Mauritz (März 2025)
Illustriert von Claudia Ali
Nazar-Amulett, © Alev Akın
Wer in Oberägypten (1) lebt und mit Einheimischen befreundet ist, wird recht bald feststellen, dass der „Böse Blick“ etwas ist, an das man glaubt und dessen Auswirkungen man fürchtet. Eine Umfrage, die in der Türkei gemacht wurde, ergab, dass 84% der Befragten den Bösen Blick fürchten (2). In Syrien sind praktisch alle Menschen überzeugt, dass es dieses Phänomen gibt (3). In Ägypten und speziell bei uns im Süden dürfte es nicht anders sein. Bekanntlich glaubt man oder hat in der Vergangenheit überall auf der Welt an den Bösen Blick geglaubt, von Mesopotamien und dem pharaonischen Ägypten über Indien, China, den Orient, Afrika und ganz Europa. Das Wort für diesen Zauber ist in allen Sprachen präsent: the Evil Eye, le Mauvais Oeil, il Malocchio. Freilich wird der Böse Blick bei uns im Westen heute selten erwähnt. Selbst wer daran glaubt, neigt dazu, sich „aufgeklärt“ zu geben und nicht zu seinem „Aberglauben“ zu stehen. Dass dies in Ägypten anders ist, hat damit zu tun, dass die Realität dieses Zaubers von der Religion bestätigt wird. Dass es den Bösen Blick wirklich gibt, bezeugt ein Ausspruch des Propheten: العين حقّ (al-‘ain haqq), „Der Böse Blick ist eine Tatsache“ (4).
Einer meiner Bekannten, von dem man weiß, dass er dem Alkohol zuspricht, verursacht einen Autounfall. Statt mit sich selbst zu hadern, sieht er den Grund in einer Ursache, die ihn selbst frei spricht: im Bösen Blick. Ein anderer erleidet gleich zwei Schicksalsschläge: seine Frau verlässt ihn und seine Lämmer sterben. Auch er identifiziert als Ursache seines Unglücks dasselbe Phänomen. Der weit verbreitete Glaube gibt ihm Recht: Dem Blick missgünstiger Menschen traut man zu, Liebe und Freundschaft zu zerstören und Vieh krank werden und sterben zu lassen.
Fatimas Hand - Schutzamulett, Foto via culturetaste.com
Der Böse Blick wird in Ägypten mit dem Wort عين „‘ain“ benannt, das „Auge“ heißt und zugleich das böse, neidische Auge meint. Das Wörterbuch der ägyptischen Sprache übersetzt das Wort mit „the evil eye, the capacity for harming people by regarding them enviously“ (5). In der Tat wird der Neid الحسد (al-hasad) dafür verantwortlich gemacht, dass jemand einem anderen durch einen bösen Blick Leid zufügt. Deshalb wird dieser auch عين الحسد oder عين الحسودة (Blick des Neides) genannt. Wer ein kostbares Objekt, ein wohlgenährtes Tier oder ein schönes Kind mit Bewunderung und Neid anschaut, kann bewirken, dass die Vase zerspringt oder das Tier oder der Säugling erkrankt und stirbt.
المحسودين „al-mahsûdîn), die „Beneideten“ und Opfer des Bösen Blickes, sind meistens Personen in ganz bestimmten Lebenssituationen. Schwangere und Wöchnerinnen sind gefährdet oder Brautleute im Moment ihrer Hochzeit. Sein Glück und seinen Erfolg, seinen Reichtum oder seinen sozialen Rang zu zeigen, kann riskant sein. Es empfiehlt sich, besonders Wertvolles zu verbergen. In Anwesenheit „verdächtiger“ Personen sollte man seine teuren Kleider und seinen Schmuck nicht tragen und nicht mit seinen Kindern und deren Schönheit prahlen. Zu den Situationen, in denen Vorsicht geboten ist, gehört das Schreiten über eine Türschwelle (dort könnte ein böser Zauber versteckt sein) oder die Begrüßung und Verabschiedung von Gästen: Unter sie könnte sich ein Unbekannter mischen, der von Neid und Missgunst angetrieben ist (6).
Auch unter den Neidern, الحاسدين " (al-hâsidîn), den Verursachern des Bösen Blickes, gibt es besondere Kategorien. Man erkennt sie an ihrem Äußeren, weil sie blauäugig, einäugig sind oder schielen. Man verdächtigt Frauen, deren Körper behaart ist, oder Männer, die umgekehrt erstaunlich unbehaart sind (6). Wenn eine Frau ein Jahr nach ihrer Hochzeit immer noch nicht schwanger ist, fürchtet man, dass sie Opfer des „al-‘ain“ ist. Sterilen und unverheirateten Frauen traut man umgekehrt zu, andere mit dem Blick des Neides zu schädigen oder eine Hexe oder einen Zauberer damit zu beauftragen. Eine junge Frau, die mehr als 20 Jahre alt ist, kann bereits als „alte Jungfer“ gelten und beargwöhnt werden (7). Wer arm und benachteiligt, ein Versager ist, wessen Kinder keinen sozialen Aufstieg schaffen wie die Kinder seiner Nachbarn, wird gemieden, weil man seinen Neid und seine Rache fürchtet. Der neidische Blick kann absichtlich erfolgen, aber auch ungewollt und unbewusst. Wir Fremden in Ägypten sollten vorsichtig sein. In Europa ziemt es sich, fast überschwänglich zu loben und zu bewundern, was man im Hause seiner Gastgeber sieht. Im Umgang mit Ägyptern sollte man dabei eher zurückhaltend sein, die Schönheit der Kinder eher verhalten bewundern, ebenso die Kleider und die Ausstattung der Wohnung. Wenn man mag, kann man dabei, wie dies Ägypter tun, ein „al-hamdu lillah“ (Allah sei Dank) oder ein ما شاء الله "was Gott gewollt hat“ einfließen lassen, Segenswünsche, welche die magische Wirkung außer Kraft setzen. Der Prophet hat diejenigen getadelt, die ihre Bewunderung ausdrücken, ohne Allah zu preisen und ohne ihn zu bitten, den Angesprochenen zu segnen. Uns Fremden fällt auch auf, dass Ägypter auf die Frage, wie es ihnen geht, oft einfach mit „al-hamdu lillah“ antworten, ohne kundzutun, wie prächtig es ihnen geht.
Der Böse Blick ist eine der Erscheinungsformen des bösen Zaubers, vor dem man sich zu hüten hat. Wer anderen Böses will, kann dies selbst bewirken oder eine „professionelle“ Hexe oder einen Zauberer beauftragen. Die Opfer sind dieselben wie beim Bösen Blick. Eine Braut macht ihre Hochzeitstoilette bei einer Nachbarin, weil sie das schlimme Geschick fürchtet, das ein Neider bei ihr zuhause vorbereitet hat (8). Wer sich in eine Frau verliebt, die bereits verheiratet ist, kann durch Zauber einen Zwist heraufbeschwören, der zur Scheidung führt. Wer einen Mann beneidet, kann dafür sorgen, dass er impotent wird oder sein Geschlechtsteil zu einem weiblichen wird und er seiner Frau nicht mehr beiwohnen kann. Wenn Zauberer und Hexen Haare, Nägel oder einen Fetzen von deinem Kleidungsstück in ihren Besitz bringen, können sie damit Macht gewinnen über dich. Ihre Praktiken gehen soweit, dass sie einen frisch Beerdigten ausgraben, seine Haare oder seine Nägel, seine Leber oder bestimmte Knochen an sich nehmen, um sie für ihre schwarze Magie zu gebrauchen. In Siwa gab es noch in neuerer Zeit die Gewohnheit, an solchen Gräbern Wachen aufzustellen (9).
Dem Bösen Blick und der Hexerei begegnet man mit vielfältigen Maßnahmen. Die Kinder kann man mit einem Namen rufen, der gar nicht ihr wirklicher Name ist. Wir alle kennen Ägypter, die eigentlich anders heißen als sie genannt werden. Diese Verbergung des wahren Namens erinnert uns an ein berühmtes Märchen, dessen Hauptfigur sich freut: „Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß“. Nach dem Besuch einer verdächtigen Person kann man das Haus ausräuchern mit Weihrauch oder speziellen Gewürzmischungen (10). Vor dem Hauseingang werden Zwiebeln aufgehängt, in der Kleidung von Kindern oder im Schleier der Frauen Fenchel versteckt. Beim Betreten der Toilette murmelt man eine Beschwörungsformel, weil man glaubt, dass Dschinnen oder der Satan selbst sich gerne dort aufhalten. Ähnlich beliebt sind bei ihnen unbewohnte Häuser und Wohnungen (11). Wenn ich von Reisen zurückkam, habe ich selbst erlebt, dass man während meiner Abwesenheit das Radio laufen ließ, welches das Koranprogramm ausstrahlte.
Nazar-Amulette, © Guruharsha
Vor allem schützt man sich durch Amulette, die gegen den Zauber wirksam sind. Beliebt sind solche in Form eines Auges oder einer Hand, die nach Fatima, der jüngsten Tochter des Propheten benannt ist. Die „blauen Augen“, auch „Nazar“ genannt, heftet man vor allem Kindern an die Kleidung, aber sie hängen auch an Schlüsselanhängern oder am Rückspiegel von Taxis. In Touristengebieten sind diese Gegenstände zu beliebten Souvenirs geworden. Mit in Henna getauchten Handflächen bestreicht man Wände und Hauseingänge. Die Henna-Farbe wird gewöhnlich benutzt zum Schmuck der Braut und der Hochzeitsgäste, weil man ihr „baraka“ (Segenskraft) und Hilfe gegen Magie zuschreibt.
Fromme Muslime lehnen oft solchen Gegenzauber ab, weil sie ihn für شرك "shirk“ (Götzendienst, Aberglauben) halten. Sie schützen sich mit den Mitteln, die ihnen die Religion zur Verfügung stellt: Nach der Geburt eines Kindes lässt man einen Scheich kommen, der dem Säugling den islamischen Gebetsruf ins Ohr flüstert. Man rezitiert die „Sure des Frühlichts“, welche lautet: „Ich suche beim Herrn des Frühlichts Zuflucht vor dem Unheil, das ausgehen mag (…) von einem, der neidisch ist“ (12). Man sagt islamische Segensformeln auf, betet und verharrt in stillem Gedenken an Allah, wie dies die Derwische tun (13).
Schutzsure Al-Falaq
(Sure des Frühlichts), die 113. Koransure
Anmerkungen
s.a. folgende Stichworte in Wikipedia: „Böser Blick“, „Le mauvais oeil“, „Hand der Fatima“, „Nazar-Amulett“
(1) Zum Geisterglauben in Oberägypten vgl. Elisabeth Hartung: Die Geister sind überall, hier im Leben-in-Luxor-Autorenforum
(2) Laura Hindelang: Das Nazar-Auge und der Mythos um den "bösen Blick", Stern.de, 15.08.23
(3) [Anzeige] Gebhard Sebastian Fartacek: Unheil durch Dämonen? Geschichten und Diskurse über das Wirken der Ginn. Eine sozialanthropologische Spurensuche in Syrien, Böhlau, 2010
(4) Radi, Saâdia: Le mauvais œil, in: Surnaturel et société - Maroc, Centre Jacques-Berque, 2013, OpenEdition.org
(5) Martin Hinds & El-Said Badawi: A Dictionary of Egyptian Arabic, University of Sao Paulo, Brazil, 2017
(6) und (7) [Anzeige] Gebhard Sebastian Fartacek s. (3)
(8) und (9) Fathi Malim: L’oasis de Siwa vue de l’intérieur. Traditions, coutumes et sorcellerie, Al Katan, 2003
(10) [Anzeige] Gebhard Sebastian Fartacek s. (3)
(11) Fathi Malim s. (8)
(12) [Anzeige] Gebhard Sebastian Fartacek s. (3)
(13) Zum stillen Zikr des Herzens und dem lauten Zikr der Derwische vgl. Hans Mauritz: Allahs Namen nennen - Zikr, Sufi-Rituale in Oberägypten, hier im Leben-in-Luxor-Autorenforum.
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